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Fall um Gewalt bei Sex und Streit: Freispruch durch illegale Tonaufnahme
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Eine Handyaufnahme war der Trumpf für den Angeklagten.
© Quelle: Peter Seel
In der Beziehung von Tino und Celine muss es hoch hergegangen sein. Details der Liaison landeten vor Gericht. Erst als Tino ein Tonaufnahme abspielte, wendete sich für ihn auf der Anklagebank das Blatt.
Peter Seel
05.01.2023, 16:15 Uhr
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Betzdorf. Video- oder Audioaufnahmen von irgendjemandem ohne dessen Wissen zu machen, ist verboten. Allerdings war es genau eine solche Straftat, die einen 24-jährigen Angeklagten nun höchstwahrscheinlich vor einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung bewahrt hat.
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Es war ein Glücksfall, dass mein Mandant in diesem Fall eine Straftat begangen hat. Ohne die Aufnahme hätten wir nur die Aussage der Zeugin gehabt.
Benno Grunwald
Rechtsanwalt
Während es noch bei der Aussage seiner 20 Jahre alten Ex-Freundin ziemlich düster für ihn auszusehen schien, änderte sich die Wahrnehmung des Falls deutlich, nachdem der Verteidiger des jungen Mannes endlich damit herausrückte, dass sein Mandant den entscheidenden Streit per Handy aufgenommen habe. Nachdem er diesen Mitschnitt vor Gericht abspielen durfte, plädierte sogar Staatsanwältin Mittler auf Freispruch.
Zögerliche Antworten
Dem folgte letztlich auch Richter Mats Becker – wenn er auch gebührend hervorhob, dass er und die Schöffen auch ohne das illegal aufgenommene Gespräch in Richtung Freispruch tendiert hätten: Durch die zögerliche Art der Zeugin, des vermeintlichen Opfers, und durch deren von markanten Erinnerungslücken geprägte Antworten auf die Fragen des Gerichts sei der Nachweis einer sexuellen Nötigung ohnehin nicht zu erbringen gewesen.
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Doch die Geschichte von Anfang an: Das junge Paar war 2020 in einem Dorf im AK-Kreis in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Die lag im Haus von Celines Eltern (alle Namen geändert) über deren Wohnung. Im nächsten halben Jahr ging es allerdings mit der Beziehung bergab. Das lag nach Celines Angaben vor allem an der zunehmenden Gewalt, die Tino vor allem in das Sexualleben der beiden einbrachte. So habe er sie beim Geschlechtsverkehr mit der Hand oder dem Kabel eines Kopfhörers geschlagen, ihr die Finger bis hin zum Würgereiz in den Mund gesteckt und den Akt gegen ihren ausdrücklichen Willen per Handy gefilmt. Zudem habe er sie bei einem Streit am Hals gepackt und an die Zimmerwand gedrückt – dies waren dann auch die Anklagepunkte.
Beziehung beendet
Celine berichtete nun im Zeugenstand, dass sie irgendwann ihrer Schwester von dieser steigenden Gewalt Tinos berichtet habe. Die sei damit zu den Eltern beider gegangen. Darauf habe sie die Kraft gefunden, die Beziehung zu beenden. Vater, Mutter und Tochter hätten ein „Dokument“ aufgesetzt, in dem Möbel und anderer Hausstand des Paars verzeichnet war, und dazu, wem der beiden was davon gehört habe.
Tino habe diese Liste unterschreiben sollen, habe sie ihm gesagt; der Vater habe schweigend im Türrahmen daneben gestanden. Tino allerdings ließ von seinem Verteidiger, dem Siegburger Anwalt Benno Grunwald, mitteilen, dies sei gelogen: Der Vater habe ihn massiv unter Druck gesetzt, Tino gedroht, ihn wegen Vergewaltigung anzuzeigen, seine Familie in Misskredit zu bringen, ihn auch beruflich fertigzumachen – wenn er den „Vertrag“ nicht unterschreibe. Daraufhin rief Tino die Polizei – die vor Ort auch Celine vernahm: So kam die Sache bei der Staatsanwaltschaft ins Rollen.
Von Schweigerecht Gebrauch gemacht
Tinos Version von den Drohungen des Vaters bestätigte sich durch die Tonaufnahme, die er mit dem Handy in der Tasche gemacht hatte. Zuvor hatte Richter Becker der jungen Frau auffällig oft deutlich gemacht, dass sie die Wahrheit zu sagen habe, dass sie sich sonst strafbar mache. Sie aber blieb bei ihrer Version des Streits. Nach einer Prozessunterbrechung spielte der Richter ihr die Aufnahme vor. Auf seine neuerliche Frage nun, ob sie die Wahrheit sagen oder von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen wolle, zog sie jetzt das Schweigen vor.
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Staatsanwältin Mittler erklärte darauf, durch die „beträchtlichen Erinnerungslücken“ Celines, die „auf Anfragen keinerlei konkrete Angaben“ habe machen können, sei eine Verurteilung Tinos nicht möglich. Damit sage sie aber nicht, dass die Gewalttaten nicht vorgefallen sein könnten. Alle Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.
Wahrheitstreue erschüttert
Verteidiger Grunwald hatte zuvor in seinem Plädoyer die Frage aufgeworfen, wie der Prozess wohl ausgegangen wäre, wenn – wie es der Richter später in der Urteilsbegründung ausführte – „die Wahrheitstreue der Zeugin nicht durch die Audioaufnahme erschüttert worden wäre“. Grunwald: „Es war ein Glücksfall, dass mein Mandant in diesem Fall eine Straftat begangen hat. Ohne die Aufnahme hätten wir nur die Aussage der Zeugin gehabt.“ Und auch, wenn es verwunderlich sei, dass Celine sich bei derart heftigen Vorwürfen an vieles nicht mehr habe erinnern können, müsse man doch fragen: „Wer weiß, was sonst daraus geworden wäre?“